Heike Wiechmann - Autorin & Illustratorin

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Gute Vorsätze

06.01.2023 | Kategorie: In eigener Sache

Es ist der 3. Januar und regnet in Strömen - pladdert, wie man hier in Norddeutschland sagt. Aus dem Arbeitszimmer schaue ich auf einen Sportplatz, auf dem ein junger Mann seine Runden dreht. Gestern war er auch schon da, zur selben Zeit.

Neujahrsvorsätze. Jeder kennt sie. Die Newsfeeds in der Suchmaschine meines Handys geben mir eine Ahnung davon, was wir Deutschen uns zum Jahresbeginn alles vornehmen: Abspecken, netter sein zu den Mitmenschen, mehr Gemüse und weniger Fleisch essen, mehr Spiritualität ins Leben lassen: Meine eigenen Neujahrsvorsätze scheinen so individuell nicht zu sein.

Der junge Mann trabt tapfer durch die Pfützen. Und ich frage mich: Wie können wir unsere guten Vorsätze durchhalten? Unsere Gewohnheiten ändern, zum Besseren, versteht sich, denn darum geht es ja.

Auf einer Webseite namens Euifc fand ich folgende Anleitung: „Der Planungsverlauf für eine Intervention zur Verhaltensänderung umfasst zunächst ein Verstehen des Zielverhaltens und die Auswahl einer breit angelegten Vorgehensweise und dann die Konzeption der spezifischen Verhaltensänderungstechniken, die einzusetzen sind.“ Aha. Planung habe ich verstanden. Und Ziele, die man erreichen will. Ich habe den Text nicht zu Ende gelesen. Dass alles sehr gründlich passieren muss, um nachhaltig zu sein, habe ich begriffen.

Nachhaltig sollen wir ja jetzt alle werden. Ganz fix. Um Vladimir Putin eine lange Nase zu drehen. Wir sollen die Heizung ebenso wie die Umdrehungszahl des Automotors runterdrosseln, dies am besten gleich stehen lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Die ja, wie die Deutsche Bahn, ganz nachhaltig, oft gar nicht mehr fahren. Deutschland soll, ja muss in großen Schritten sich wandeln. Weil wir sonst mit unser Energie nicht mehr hinkommen werden. Und um des Klimas willen sowieso. Große Vorsätze, wichtige Vorsätze.

Auch ich fand mich jahrelang zu Neujahr verkatert auf dem Sportplatz ein, nahm nach dem Laufen ein ballaststoffreiches Frühstück zu mir und praktizierte 16:8 oder 5:2 (wer es nicht kennt, das sind Fastenprogramme). Meine guten Vorsätze schmolzen schneller dahin wie ein Gletscher im Klimawandel. Spätestens auf dem Geburtstag meiner Freundin Ende Januar, schwelgte ich wieder in Schokotorte, Cappuccino und schlechtem Gewissen. Mit dem ich sicher nicht allein bin: Studien zufolge halten 87% der Neujahrsvorsätze nicht länger als drei Wochen.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Wer weit gehen will, muss langsam gehen.“ Jede Veränderung muss in kleinen Schritten angebahnt werden. Angeblich hilft sogar regelmäßig eine Minute eines neuen Verhaltens, um eine neue Gewohnheit ins Leben einzubauen. Und sie dann nach und nach auszudehnen. Sonst erschöpft man sich und seine Möglichkeiten.

Zu gut neudeutsch: Es sind die Mikroschritte, die uns alle voranbringen. Deren Erfolg ist wahrscheinlicher als bei jedem radikalen Schwenk. Meine Heizung habe ich also, nach einem 18 Grad-Versuch Anfang des Winters, auf 23 Grad hochgeregelt und schraube nun die Temperatur in Mikroschritten runter. Das hilft meinem Konto und entlastet die deutschen Gasspeicher. Damit, die Heizung von 23 auf 22,8 Grad gesenkt zu haben, kann ich zwar nicht prahlen, auch nicht mit einer Minute Dehnübungen oder einem Stück Schokolade weniger.

Follow the Science“, folgt der Wissenschaft, wird spätestens seit der Coronapandemie in allen politischen Lagern gefordert. Die Effektivität von Mikroschritten ist wissenschaftlich bewiesen.

Ob diese Erkenntnis mittlerweile in Berlin angekommen ist? Vermutlich nicht. Sonst hätten unsere Regierenden schon vor Jahren mehr Projekte zur Umstellung auf erneuerbare Energie, zur Stärkung des ÖPNV, zur sparsamen Nutzung von Primärenergie auf den Weg gebracht. Jetzt im Hauruckverfahren der gesamten deutschen Wirtschaft die radikale Kürzung des Energieverbrauchs abzuverlangen, wird scheitern. Wie allzu hochgehängte Neujahrsvorsätze.

Der junge Mann bleibt stehen, keuchend stützt er die Hände in die Seite, sein Baumwollshirt trieft vom Regen. Er braucht Geduld, um seine Fitness anzukurbeln. Und Zeit. Eine halbe Stunde am Tag spazieren gehen wäre bei seinem Wohlstandsbäuchlein schon ein respektabler Anfang. Bei meinem auch ...